Den Auslöser – und nicht nur das Sympton behandeln

Lahmheiten, Verdauungsprobleme, Stress: Im Körper gespeicherte Traumata können die Ursache sein. Selina Dörling hat eine Methode entwickelt, um sie zu lösen.

Es gibt nicht wenige Pferde, die eine lange Leidensgeschichte hinter sich haben: Wiederkehrende Lahmheiten, ständige Probleme mit dem Verdauungstrakt oder auch ein hohes Stresslevel machen ihnen das Leben schwer. Nicht selten steckt hinter den Beschwerden ein Trauma, das nicht nur im Kopf, sondern auch im Körper abgespeichert ist. Osteopathin Selina Dörling hat eine Methode entwickelt, um eben dieses Trauma zu lösen.

 

Billy ist jetzt 17 Jahre alt. Die letzten Jahre seines Lebens war er vielmehr eine Großbaustelle, als ein Reitpferd. Fesselringband-OP, Hornsäule, Fesselträgerschaden, Karpaltunnelsyndrom: Eine Diagnose nach der anderen reihte sich aneinander. Als Selina Dörling sich den Wallach vorführen lässt, benötigt sie nicht lange, um die Ursache für seine Probleme auf den Punkt zu bringen: „Er hat ein klassisches Kastrationstrauma“, sagt sie. Sie lässt Billy noch einmal vorführen und deutet auf die Hinterhand: „Er fußt schon sein Leben lang hinten links in Richtung vorne rechts.“ Und das liege nicht an seiner natürlichen Schiefe, sondern an einem im Gewebe abgespeicherten Trauma, das bei seiner Kastration entstanden ist.

Sie legt ihre Hände an eben diese Stelle und plötzlich scheint Billys ganzer Körper zu entspannen. Er kaut, leckt und gähnt und wendet seinen Kopf erstaunt in Richtung Therapeutin. Am gesamten Körper scheinen nicht nur die Muskeln zu entspannt - mit einem Mal treten auch die Äderchen hervor. „Jetzt kann die Energie wieder fließen“, erklärt Dörling. Als er dann wieder angeführt wird, befinden sich Hinterhand und Vorhand plötzlich wieder in einer Spur – das linke Hinterbein fußt in Richtung linkes Vorderbein. Hält der Wallach an, steht er plötzlich gleichmäßig auf allen Vieren – „Das hat er noch nie getan!“, zeigt sich auch seine Besitzerin erstaunt.

Häufige Diagnose bei Wallachen: das Kastrationstrauma. (Foto: Andrea Zachrau)

Traumata lösen

Die Osteopathin entdeckte das Problem der im Körper gespeicherten Traumata und die Möglichkeit, sie zu lösen, vor einigen Jahren, als sie ihr eigenes Pferd behandelte. Seitdem hat sie sich zum Ziel gesetzt, so vielen Pferden wie möglich helfen zu wollen und bildet seit 2019 auch Therapeuten gezielt in „Visionärer Pferdeosteopathie“ aus, wie sie ihre Methode nannte.

„Es gibt keinen Menschen und kein Tier, das im Laufe seines Lebens kein Trauma erlitten hat“, erklärt sie. „Häufig bleibt die Schockenergie, die dabei entstanden ist, im Körper zurück und sorgt dafür, dass die Flüssigkeiten nicht mehr richtig fließen und die tiefen Faszienschichten nicht mehr richtig arbeiten können. Das wirft den Körper aus seiner Zentrierung, was sich dauerhaft auf das ganze System auswirkt.“ Beim Kastrationstrauma sei es so, dass sich das Pferd auf neurobiologischer Ebene wortwörtlich von seiner Hinterhand abtrenne. „Es wirkt wie zweigeteilt“, sagt Dörling. „Dieses Abtrennen von einem bestimmten Körperteil ist ein Schutzreflex, den alle Säugetiere gemeinsam haben. Dieses Phänomen findet auf rein körperlicher Ebene statt.“

Wie am Beispiel von Charlie kann sich ein solches Trauma langfristig auf Probleme im Bewegungsapparat auswirken. Klassisch sind aber auch Rittigkeitsprobleme bis hin zum Abwehrverhalten der Pferde, fehlende Muskulatur an der Hinterhand oder aber auch die Neigung zu Koliken, Atemproblemen oder einem hohen Stresslevel. „Jeder Körper ist individuell und verarbeitet ein Trauma anders“, hat Selina Dörling festgestellt.

Kastration und Unfall als Auslöser 

Traumata entstehen nicht nur bei Kastrationen, ebenso bei schwierigen Geburten, zu frühem Absetzen von der Mutter oder Unfällen. „Das traumatische Erlebnis kann ich dem Pferd nicht nehmen, aber ich kann die Prägung, die im Gewebe übriggeblieben ist, lösen“, erklärt die Therapeutin.

Mit ihrer Behandlung spricht Dörling die zentrale Schaltstelle zwischen dem Gehirn und den Organen – den Vagus-Nerv – an. Traumata blockieren den Fluss und damit auch eben diesen Nerv. „Nach einem Unfall oder traumatischen Erlebnis ist die Handlungsfähigkeit daher oft eingeschränkt. Es fällt dem Pferd schwer, sich selbst zu fühlen und wahrzunehmen.“  Ist der Nerv blockiert, betrifft das vor allem die Hinterbeine und das Becken sowie den Verdauungstrakt. Schlussendlich kann von einem nicht-regulierten Nervensystem gesprochen werden. „Befindet sich ein Körper in einem Zustand von Angst oder Schock, ist das keine mentale Emotion, es ist vor allem eine Reaktion des Nervensystems“, weiß Dörling. Oftmals werde beispielsweise Reitern nach einem Unfall Mentaltraining empfohlen – ein oft sehr langwieriger Prozess, eben weil dadurch nicht das im Körper abgespeicherte Trauma gelöst werden kann. „Mit meiner Behandlung spreche ich direkt den Hirnstamm an, nämlich den Ort, an dem alles abgespeichert ist.“

Trauma verstoffwechseln

Dieser Prozess war bei Billys Behandlung nicht nur dadurch zu sehen, dass der gesamte Körper mehr durchblutete und sich alle Muskeln entspannten. Gleichzeitig bildeten sich Streifen in der Haut – beginnend vom Kopf bis über den gesamten Körper. „Die Körperzellen haben den Impuls bekommen, das Trauma zu verstoffwechseln. Zeichnen sich die Streifen im Fell ab, ist das ein Zeichen dafür, dass die neue Information im Hirnstamm angekommen ist“, erklärt die Osteopathin.

Unzählige Pferde konnte sie im Laufe der Jahre bereits erfolgreich behandeln. Die verschiedenste Fallbeispiele können auf Dörlings Homepage www.pferdeosteopathie-sd.de nachgelesen werden.

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