Zum Tod von Benjamin Winter

 Interview mit Sportchef Dr. Dennis Peiler und Bundestrainer Hans Melzer  Sport

Warendorf (fn-press). Der tödliche Unfall des 25-jährigen Vielseitigkeitsreiters Benjamin Winter beim internationalen Turnier in Luhmühlen hat den Pferdesport zutiefst schockiert. Seitdem wird viel über die Umstände des Todes von Benjamin Winter, aber auch über die Vielseitigkeit im Allgemeinen diskutiert. Wo steht diese Disziplin aktuell? Fragen, auf die Dr. Dennis Peiler, Geschäftsführer des Deutschen Olympiade-Komitees für Reiterei (DOKR), und Bundestrainer Hans Melzer versuchen, Antworten zu finden. 

 

FN-Aktuell: Benjamin Winter ist tödlich verunglückt, das Pferd Liberal starb an einem Aortaabriss … Ist die Vielseitigkeit noch zeitgemäß? 

 

H. Melzer: Jeder Unfall und vor allem jeder tödliche Unfall wirft viele Fragen auf. So auch der Tod von Benjamin Winter, der uns alle zutiefst erschüttert hat. Der Vielseitigkeitssport hat im letzten Jahrzehnt einen gewaltigen Wandel erfahren, ist viel sicherer geworden. Es wurde viel verändert, von der Ausbildung, Regelwerk und Qualifikationsmodus, Geländeaufbau bis hin zur Fitness von Reiter und Pferd. Die Zahl der schweren Unfälle ist weltweit auch tatsächlich rückläufig. Dennoch ist jeder Unfall einer zu viel. Wir dürfen in unserer Bemühung, den Sport sicherer zu machen, daher auch nicht nachlassen. Die Vielseitigkeit ist nach wie vor die kompletteste aller Pferdesportdisziplinen. Sie verlangt den rundum ausgebildeten Reiter und ein ebensolches Pferd, setzt eine perfekte Abstimmung und gegenseitiges Vertrauen von Reiter und Pferd voraus. Es ist das Glücksgefühl über die gemeinsam erbrachte Leistung, das die Reiter antreibt. Eine hundertprozentige Sicherheit wird es in diesem Sport, wie im Reitsport generell, aber nie geben.

 

D. Peiler: Die Disziplin Vielseitigkeit hat in den vergangenen Jahren enorm an Popularität gewonnen. Dazu haben sicher auch die beiden Olympiasieger Hinrich Romeike und Michael Jung beigetragen. Immer mehr Zuschauer besuchen die großen Veranstaltungen. Sie sind fasziniert von den Leistungen der Reiter und Pferde, die in einem Triathlon aus Dressur, Geländeprüfung und Parcoursspringen Außerordentliches leisten. Lag die Gewichtung der Vielseitigkeitsprüfung früher schwerpunktmäßig auf dem Geländeritt, so fließen heute alle drei Teildisziplinen quasi gleichberechtigt in das Ergebnis ein. Auch dies ist der Sicherheit geschuldet. Der Vielseitigkeitsreiter muss heute ein „Allrounder“ sein. Unsere Spitzenreiter wie Michael Jung und Ingrid Klimke sind auch in der schwersten Klasse im Springen und in der Dressur erfolgreich. Aber ich sage auch ganz deutlich, dass wir solche tragischen Unfälle nicht hinnehmen können. Wir müssen alles daran setzen, die Vielseitigkeit sicherer zu machen. Expertengremien arbeiten seit langem daran, zum Beispiel noch mehr mit abwerfbaren Hindernisteilen zu arbeiten, die im Ernstfall nachgeben und so manchen Sturz verhindern können. Ich gebe allerdings Hans Melzer Recht, dass immer ein Restrisiko bleiben wird.

 

FN-Aktuell: Steht diese Disziplin, zumindest auf internationalem 3* und 4*-Niveau, nicht in dauerhaftem Konflikt mit dem Tierschutzgesetz? In §1 heißt es: Niemand darf einem Tier ohne vernünftigen Grund Schmerzen, Leiden oder Schäden zufügen.

 

D. Peiler: Es wäre Augenwischerei zu behaupten, die Vielseitigkeit sei frei von jedem Risiko für das Pferd. Das ist keine Pferdesportdisziplin, aber die Vielseitigkeit war und ist unbestritten häufiger von Unfällen betroffen als etwa Dressur, Springen oder Voltigieren. In der Vielseitigkeit kommt es sehr darauf an, dass Reiter und Pferd als Paar zusammenwachsen. Die Ausbildung ist langwierig, aber wenn die körperliche Fitness des Pferdes wie des Reiters gut ist, die reiterlichen Qualitäten stimmen, der Reiter in sein Pferd hineinhorchen und seine Leistungsfähigkeit einschätzen kann, dann steht die Vielseitigkeit nicht in Konflikt mit dem Tierschutz.

 

H. Melzer: Regelwerk und Ausbildung sind genau so angelegt, dass Schmerzen, Leiden oder Schäden bei Pferden auszuschließen sind. Es gibt ein Mindestalter der Pferde, einen klaren Qualifikationsweg für höhere Prüfungsklassen mit nachgewiesenem Ausbildungsstand und neuerdings auch die Rückstufungsmöglichkeit, wenn ein Reiter die Voraussetzungen nicht erfüllt. Ein Monitoring-System überwacht die Pferde während der Prüfung, außerdem wird das Pferd in Verfassungsprüfungen auf seine Fitness untersucht. Unser Regelwerk lässt keine unerfahrenen Reiter oder mangelhaft ausgebildete Pferde zu. Übrigens muss man auch sagen, dass die Pferde in diesem Sport sehr alt werden. Beim CCI4* war mehr als ein Viertel aller Pferde zwischen 14 und 19 Jahre alt. 

 

FN-Aktuell: War Benjamin Winter zu schnell im Gelände unterwegs? Galt er als ein besonders risikobereiter Reiter?

 

H. Melzer: Nein, Ben war ein forscher, aber besonnener Reiter, galt im Gelände als Vorzeige-Reiter. Er hat den Sport geliebt und sich dafür entschieden, ihn zu seinem Leben zu machen. Mit seiner Bilderbuchrunde auf seinem Pferd Wild Thing hatte er ja bereits bewiesen, dass er dem Kurs in Luhmühlen gewachsen war. Wir werden alle Anstrengungen unternehmen, um herauszufinden, warum es mit seinem zweiten Pferd Ispo zu dem tragischen Unfall kam.

 

D. Peiler: Er war ein außergewöhnlich talentierter Reiter, der die wichtigsten Voraussetzungen für diese Disziplin mitbrachte: reiterliches Können, Mut, Umsicht, Verantwortungsbewusstsein und Gefühl für seine Pferde, sportliche Fitness. Seine bisherigen Erfolge – er nahm zweimal an Europameisterschaften der Senioren teil – und die guten Perspektiven mit jungen Pferden ließen eine langjährige, erfolgreiche spitzensportliche Karriere erwarten. Für das DOKR und die Bundestrainer galt Benjamin Winter auch wegen seines gradlinigen, sympathischen und charakterlich einwandfreien Verhaltens als „Vorzeigereiter“.

 

FN-Aktuell: Ist es zu rechtfertigen, dass ein Reiter zwei Pferde in einer 4*-Prüfung reitet? Ist ein Reiter dann kräftemäßig überfordert, so dass Ermüdung und mangelnde Konzentration das Unfallrisiko erheblich steigen lassen?

 

H. Melzer: Pferde und vor allem auch die Reiter müssen eine gute Kondition haben, das ist eine Grundvoraussetzung für den Sport. Konditionsprobleme waren– soweit man das jetzt beurteilen kann – auch nicht der Grund für den Unfall. Es ist seit Jahren üblich, dass mehrere Pferde in CCI4* gestartet werden können, das gab bisher nie Probleme.

 

FN-Aktuell: Viele Menschen haben es nicht verstanden und es dem Veranstalter vorgeworfen, dass nach dem schrecklichen Unfall die nächste Geländeprüfung nicht abgesagt wurde, sondern so stattfand, als sei nichts geschehen. Auch wurde die mangelhafte Kommunikation des Unfalls kritisiert. Wie stehen Sie dazu?

 

D. Peiler: Meine erste Reaktion war auch, dass das Turnier abgebrochen werden muss. Meine Gespräche mit Trainern und Reitern, dem Veranstalter, aber insbesondere auch mit der Mutter von Benjamin hatten alle zum Ergebnis, dass das Turnier im Sinne von Benjamin fortgesetzt werden soll. Es war eine absolute Ausnahmesituation, und es gibt in dieser Situation nicht richtig oder falsch. Einigkeit bestand darüber, dass kein Deutscher Meistertitel vergeben werde. Es gab keine Hymnen, die Fahnen waren auf Halbmast, die Ehrenrunde fiel aus und die platzierten Reiter verließen den Platz bei der Siegerehrung im Schritt. Es gab Gedenkminuten und eine Gedenkzeremonie, alle Reiter ritten mit Trauerflor. Die Fassungslosigkeit und tiefe Trauer war und ist immer noch überall spürbar. Auch mit etwas Abstand kann ich noch nicht mit Sicherheit sagen, ob es besser gewesen wäre, das Turnier abzubrechen. Nach der Trauer wird die Zeit der Analyse sein und wir werden uns dann weiter auch mit dieser Fragestellung intensiv auseinandersetzen.

 

H. Melzer: Die Nachricht von Bens Tod erreichte mich während der laufenden Drei-Sterne-Prüfung, nachdem mehr als die Hälfte der Reiter im Ziel war. Ich habe dann mit denjenigen Reitern gesprochen, die noch im Stall bei der Vorbereitung waren und es ihnen freigestellt, an der Prüfung teilzunehmen. Die meisten sind nicht mehr gestartet. Aber es gab auch andere Reaktionen. Einige unserer Aktiven haben gesagt, jetzt reiten wir für Ben. Es ist müßig zu fragen, was war richtig, was war falsch. In der konkreten Situation musste jeder selber entscheiden, wie er damit umgeht.

 

FN-Aktuell: Reicht die vorgeschriebene Sicherheitsausrüstung aus oder hätte der Unfalltod von Benjamin Winter durch verbesserten Kopf-Halswirbelsäule-Rumpfschutz verhindert werden können? 

 

H. Melzer: Bens Ausrüstung entsprach dem aktuellen Sicherheitsstandard (Protektor, Airbag-Weste, Nackenschutz, Helm). Dennoch wird weiter intensiv an Verbesserungen gearbeitet (laufender Prozess). Eine Forschungsgruppe ist schon seit mehreren Jahren aktiv mit der Optimierung von Protektoren beschäftigt.

 

D. Peiler: Nach so einer Tragödie muss alles auf den Prüfstand gestellt werden. Und das wird passieren. Das gilt natürlich auch für den Sicherheitsstandard der Ausrüstung.

 

FN-Aktuell: Welche Rolle spielt der Parcourschef? Trägt er Schuld an den Stürzen? Haben der Technische Delegierte und die Richtergruppe ihre Kontrollfunktion ausreichend wahrgenommen?

 

D. Peiler: Hier geht es nicht um Schuldzuweisungen, sondern darum, die Vielseitigkeit sicherer zu machen. Im vergangenen Jahr gab es Kritik, da das Gelände teilweise zu schwer empfunden wurde. In diesem Jahr war er nach Aussage der Reiter, Trainer und Offiziellen leichter. Umso mehr gibt der Unfall, geben die Unfälle ein Rätsel auf.

 

H. Melzer: An der Geländestrecke und den Hindernissen gab es keine Kritik. Wie bei jeder Vielseitigkeitsprüfung – ob national oder international – begutachtete der Technische Delegierte die Strecken bereits im Vorfeld. Einen Tag vor Beginn der Dressur nahm er sie, wie die Richtergruppe auch, ab. Das Reglement sieht vor, dass Reiter Änderungswünsche äußern können, wenn sie ein Hindernis oder einen Hinderniskomplex für zu schwierig halten. Dies ist in Luhmühlen nicht geschehen, die Reiter zeigten sich einstimmig zufrieden mit dem Kurs.

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